„Liebes Fräulein darf ich’s sagen, wie schön sie sind. Nicht zu schlank und nicht zu rund. Doch warum sind ihre Haare so bunt.“
Sie lachte so laut, dass einige Leute sich umdrehten.
Er hatte seinen dunkelblauen Hut gezogen, einen Stetson Feodora von Mey & Etlich. Sie kannte sich hinsichtlich Hüte aus. Ein älterer Mann, älter, naja schon ziemlich alt, hielt ihre Hand, verbeugte sich so tief wie er es noch konnte. Sie nahm ihn in ihre Arme und sie drehten sich wie im Tanz. Er wohnte in der Konradstraße ihr gegenüber. Sie winkten sich täglich zu. Er grinste jungenhaft „wo will das Frollein Julia heute hin“ fragte er schelmisch. „Wie seine Hoheit richtig vermuten werden, zu Gräfin Johanna auf Schloss Eschbach in Eschbach.“ „Sie wird entzückt sein über das neue Kostüm, das sie sich zugelegt haben.“
Amüsiert blickte er auf den pinkfarbenen kurzen Rock, die schwarzen Leggins, die schwarzen militärisch anmutenden Schnürsenkel Stiefel. Sie lachten, gingen Hand in Hand auf den einfahrenden Bummelzug zu. Julia zog ihn fürsorglich in den Zug hinein. Man schaute interessiert, flüsterte, schaute wieder weg. Sie fanden einen guten Platz in einem Abteil. „Eure Lordschaft haben meine Frisur noch nicht kommentiert.“ Flüsterte Julia ihm ins Ohr.“Ich bin sehr entzückt über die grünen gelben pinken Streifen in ihren hoch stehenden Haaren. Ist das angeboren?“ Julia gluckste „Nein, das ist der neueste Schrei.“ Julia verkleidete sich gerne ab und zu. Dicke grüne Lidschatten. Verrucht geheimnisvoll.
„Was hat Eure Lordschaft dazu getrieben heute den besten aller Anzüge anzulegen? Wer war der Schneider? Jener in London?“ „Das sage ich nicht. Erst als mein Butler wieder gegangen war, fiel mir ein, dass der Chauffeur heute frei hat. Also stürzte ich mich in das Abenteuer Zugfahren.“ „Wem geben sie die Ehre ihres Besuchs?“ Meiner Tochter Johanna“ sagte er lachend. Er war Julias Großvater. Immer wieder spielten sie das Spiel in anderen Variationen.
„Die Punkerin kommt“ tuschelten einige im Dorf. Sie dichteten ihr alle möglichen und unmöglichen Geschichten an, auch Gemeines.
Wenn die wüssten, sie war so brav wie das Mäuschen in der Hundehütte neben Mutters Haustüre.
Die Mutter kam ihnen freudestrahlend entgegen, umarmte beide zusammen, zog ihre Tochter lachend aus dem Blickfeld der Nachbarn. „Gottseidank ist dein Rock diesmal nicht so kurz wie beim letzten Mal.“ Vergnügt gingen sie ins Wohnzimmer. Der Tisch war liebevoll gedeckt.

20.10.2021 Denzlingen