Unter dem Felsvorsprung war es kühler. Kathrin schaute über die noch blühenden Wiesen und nickte: „Hier ist der richtige Ort für Dich mein Liebster, endlich habe ich ihn gefunden. Lange  bin ich herumgeirrt, bis ich auf unseren Weg gekommen bin. Wie oft sind wir hier zusammen gegangen, verliebt Hand in Hand.“ flüsterte sie. Eine Tüte aus braunem Packpapier steckte in der linken Außentasche ihres gelben Anoraks. Eine große Papiertüte, wie man sie wahlweise in einem Bioladen bekommt „BIO“ in grüner Aufschrift. Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, die Hitze unter ihrem Anorak fühlte sich so sinnlich an, wie damals, als sie vergnügt verliebt ins Tal liefen. Sie wagte noch nicht, die Jacke auszuziehen. Erst musste sie ihre Mission erfüllen. Sie hatte es ihm versprochen. Erschöpft lehnte sie sich an die Felswand, vor ihr fiel der Wiesenhang steil hinab.

Sie atmete mühsam. Im Laufe der Jahre hatte sich ihr Körper in eine füllige Statur verwandelt. Die schweren Brüste fand sie hinderlich, eine Taille gab es nicht mehr. Das voluminöse Hinterteil zwang sie zu einem wogenden, fast watschelnden Gang.

Überwältigt von ihren Erinnerungen weinte sie. Sie zog ihr weißes Spitzentaschentuch heraus, trocknete sich die Tränen vom Gesicht. Entschlossen, als wäre eine Trauergemeinde versammelt, stellte sie sich kerzengerade unter die kleine Birke. In einer kurzen Zusammenfassung erzählte sie von ihrer Liebe zu Bernhard und seinen guten Eigenschaften.

Zaghaft erst, dann mit voller Stimme sang sie das Lied, das ihre Mutter gesungen hatte, wenn sie traurig war.

Selig seid Ihr, wenn Ihr einfach lebt

Selig seid ihr, wenn ihr Lasten tragt

Selig seid ihr, wenn ihr lieben lernt

Selig seid ihr, wenn ihr Güte wagt

Sie griff in die Tüte, ließ die mitgebrachte Asche durch die Finger rieseln. Der Wind stand ihr bei. Er wehte die Asche  den Hang hinunter. Sie streute eine Hand voll über die Wiese, dabei sang sie mit feierlichem Ernst die zweite Strophe des Liedes. Als würde er neben ihr stehen, flüsterte sie. „Wir sehen uns wieder mein Geliebter“.

Die braune Tüte legte sie sorgfältig zusammen und verbarg sie unter einem großen Stein. So konnte sie die Stelle wieder finden.

Im Schatten der Birke setzte sie sich in die Wiese. Sie musste über sich und die Dinge, die sie getan hatte nachdenken. Eine halbe Stunde noch, dann würde sie aufbrechen. Sie war mit ihrem Mann im „Großen Meierhof“ in Freiburg verabredet. Ihr kleines Auto stand in der Feldberg Garage.

Sie wusste, sie hatte sich einiger Straftaten schuldig

gemacht. Auf dem Freiburger Hauptfriedhof in der Nacht zuvor

hatte sie die Urne ausgegraben, den Inhalt in eine Tüte geleert. Die Urne  zurück in das Loch gestellt, gefüllt  mit Asche aus ihrem Kachelofen.

Die vier Stiefmütterchen hatte sie wieder eingepflanzt. Man würde nichts bemerken. Trotzdem das schlechte Gewissen war da.

Es schauderte sie jetzt noch, wenn sie an die gestrige Nacht dachte. Hinter ihr hatte es geknackt und geraschelt. Schmatzen und Röcheln, die Hecke daneben hatte sich bewegt. Sie war so erschrocken. Krochen nachts Menschen im Friedhof herum? Ein Tier? Sie wusste, dass der Hauptfriedhof viele Tiere beherbergte, z.B. Karnickel, Ochsenfrösche. Auch Menschen schienen zu übernachten. Hinter der Kapelle lag einmal ein Schlafsack. Mutig hatte sie mit der Taschenlampe die Hecke abgeleuchtet. auptfriedhof beherbergte Ein Igel auf Schneckensuche.

Sie hatte plötzlich das Gefühl gehabt, sich beeilen zu müssen. Schnell hatte sie die kleine Schaufel und andere Utensilien zusammengerafft, vorbei am Krematorium, eilte sie über den Hauptweg zurück zum Haupttor. Da stand ihr Auto.

„Unfassbar!“

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